PETER LORRE I 1904-1964
“László Löwenstein, genannt Peter Lorre, war einer der großen modernen Schauspieler des 20. Jahrhunderts, sein Leben maßgeblich von der Erfahrung des Exils zwischen Wien, Berlin und Hollywood geprägt. Er schrieb Geschichte, sowohl auf der Bühne als auch im Film; zuerst in Deutschland, dann in den Vereinigten Staaten. Karl Kraus und Humphrey Bogart zählten zu seinen Freunden, Alfred Hitchcock und Bertolt Brecht zu seinen Regisseuren. Er spielte mit Alexander Moissi, Hans Moser und Marlene Dietrich zusammen Theater, stand mit Gustaf Gründgens ebenso vor der Kamera wie mit Ingrid Bergman oder Jerry Lewis.
Anlässlich seines Todestags am 23. März 1964, der sich heuer zum sechzigsten Male jährt, möchten wir mit der Empfehlung zweier unserer Publikationen an den vor genau 120 Jahren geborenen Schauspieler Peter Lorre erinnern. Denn es ist schon so, wie Hanns Zischler einmal geschrieben hat: ‘Wenn wir die Augen schließen, ergreift uns Peter Lorres Stimme – wenn wir sie öffnen, können wir uns an seinem verschatteten Blick nicht sattsehen.’“
Synema-Publikationen, Wien, Brigitte Mayr & Michael Omasta
DAS GESICHT HINTER DER MASKE
HOMMAGE AN DEN SCHAUSPIELER PETER LORRE
Mit Beiträgen von Christoph Fuchs, Stefanie Mathilde Frank, Gerd Gemünden, Felix Hofmann, Frederik Lang, Brigitte Mayr, Peter Nau, Michael Omasta, Volker Pantenburg, Elisabeth Streit, einem Gespräch mit der Schauspielerin Gisela Trowe, einem Fundstück aus dem Nachlass von Harun Farocki, einer kommentierte Filmografie und der Chronik des Lebens von László Löwenstein, genannt Peter Lorre (1904–1964).
Frederik Lang, Brigitte Mayr, Michael Omasta (Red.)
SYNEMA-Publikationen (Wien) 2018
96 Seiten, 40 Fotos
ISBN 978-3-901644-77-1, Preis: € 14.-
PETER LORRE
SCHAUSPIELER IN WIEN, BERLIN UND HOLLYWOOD
Mit Beiträgen von Curt Siodmak, Romuald Karmakar, Peter Nau, Pem, Lutz Koepnick, Michael Omasta und Brigitte Mayr sowie einer biografischen Notiz. Die vorliegende Hommage an Peter Lorre verfolgt seine Filmkarriere bis an die Anfänge zurück, begleitet ihn auf seinem Weg ins US-Exil, widmet sich den Augen, den Händen und der unverwechselbaren Stimme dieses großartigen Schauspielers.
Brigitte Mayr und Michael Omasta (Red.)
SYNEMA-Publikationen (Wien) 2014
40 Seiten, zahlr. Fotos
ISBN 978-3-901644-60-3, Preis: € 7.-
“Er konnte furchteinflößend gruselig sein, ungemein komisch, konnte nur er selbst sein und jede beliebige Maske überzeugend tragen. Peter Lorre spielte falsche Professoren und kleptomanische Taschendiebe, ungarische Hochstapler und russische Geheimagenten, chinesische Schiffskapitäne und japanische Detektive, sadistische Deutsche und französische Sträflinge, polnische Widerstandskämpfer und italienische Nachtclubbesitzer. Egal, welcher Figur Lorre sein darstellerisches Können lieh, es sind seine Augen, die sich einprägen. Dieser Blick mit halbgeschlossenen Lidern, der Melancholie ausdrücken kann oder Dämonie.
Peter Lorre, Schauspieler. Die hochgradig wandlungsfähigen Spiel-Arten des jungen Lorre – geboren am 26. Juni 1904 als László Löwenstein im mährisch-slowakischen Rószahegy, aufgewachsen in Wien – sind geprägt durch jene Erfahrungen, die er an deutschsprachigen Bühnen in Breslau, Zürich, Berlin und eben vor allem Wien gesammelt hat, denn von den Regisseuren wird ihm exzessive Körperarbeit abverlangt. Seine vollkommen stimmige Präsenz bei jedem Auftritt kommt ihm zugute als er unbekanntes Terrain betritt: Lorre geht zum Film und gerät – nach ein paar komischen Nebenrollen – gleich in die Hände eines Magiers. Fritz Lang macht aus ihm in M – Eine Stadt sucht einen Mörder d e n Typ des Psychopathen schlechthin, schreibt ihm eine, sozusagen, d i e Rolle auf den Leib. Sie lässt Peter Lorre (und im wahrsten Sinne des Wortes er auch sie) zeit seines Lebens nicht mehr los. Diese Rolle wird – neben allem Erfolg – auch zum Fluch.
Film und Theater. Das Changieren zwischen den Medien. Später kommen noch Fernsehen und Radio dazu. Lorres Stimme – das Markenzeichen der geschlagenen, geschundenen Kreatur –, in der stets ein seltsamer Singsang mitschwingt. Jenes Timbre hat in seiner schrecklich-schönen Sprachmusik die Schwermut und die Tragik des Exils mit eingeschrieben.
Der gefeierte Bühnen- und Filmstar muss 1933 Deutschland verlassen, sucht Zuflucht in der ehemaligen Heimat. Österreich, das erste, noch nahe Exilland, wird nicht das einzige bleiben. Es folgen Frankreich, wo er für G.W. Pabst in die Rolle eines Bettlers schlüpft, dann Großbritannien, wo Alfred Hitchcock schon auf ihn wartet, und zuletzt die Vereinigten Staaten, wo er sich für Mad Love gleich mal den Kopf kahlscheren lässt.
Lorre versucht eine Metamorphose, will sich anpassen an das Filmbusiness in Hollywood, sollte, wie Bert Brecht es formulierte, auf den „Markt gehen, die Lügen zu verkaufen“. Für einige Zeit tut er das mit großem Erfolg. Allein im Jahr 1941, in dem er auch amerikanischer Staatsbürger wird, dreht Peter Lorre drei überragende Filme hintereinander: Robert Floreys The Face Behind the Mask, Frank Capras Arsenic and Old Lace sowie John Hustons The Maltese Falcon. Dieser stilbildende Film noir legt den Grundstein zu Lorres höchst erfolgreicher Karriere bei Warner Bros. und einer Reihe legendärer Filme, wie Background to Danger, Passage to Marseille, The Conspirators, Three Strangers, The Verdict und natürlich Casablanca von Michael Curtiz – der Kultfilm schlechthin, dessen Besetzungsliste sich wie ein „Who's who“ der Emigranten in Hollywood liest.
Lorre bleibt unverwechselbar Lorre, auch wenn er nun gezwungen ist, ein anderes Idiom zu sprechen. Alles, was dieser Körper und diese Stimme am Theater gelernt hat, fließt ein in die makabren, wahnsinnigen, exzentrischen Rollen, die er im US-Film zu verkörpern hat. Doch die typischen „Akzentzrollen“ werden nach dem Krieg rasch weniger, dafür wird das Morphium, dem Lorre zeitlebens zugeneigt ist, immer mehr zur kostspieligen Abhängigkeit. 1949 ist er bankrott, verlässt fluchtartig das Land, zieht mit Edgar Allan Poes „The Tell-Tale Heart“ durch englische Provinztheater, geht anschließend nach Deutschland und tourt mit einer Lesereise durch die Amerika-Häuser von München bis Hamburg. Der Verlorene kehrt heim.
Remigriert in ein Land, das ihn nicht haben wollte und das er in seinem Herzen nie wirklich verlassen hat. Thematisiert in seiner einzigen Regiearbeit mit spärlichen Mitteln Schuld und Sühne des Dr. Rothe, eines Mörders unter Massenmördern. Lorre schlüpft nicht einfach in diese Rolle, so wie in unzählige davor (und danach). Lorre i s t diese Leinwandfigur, erweckt sie zum Leben, macht sie glaubhaft. Wieder nutzt er für den Film Mittel, die er langjährig auf der Bühne erprobt hat: die Gesten knapp, die Mimik sparsam, das Ambiente karg. Lorre himself. Lorre pur. Doch Deutschland missversteht die Parabel. Will die Metapher nicht begreifen. Will das nackte Schau-Spiel nicht sehen.
Lorre scheitert. An dem, was er am meisten liebt. Darsteller zu sein, von Rollen, die das Leben schrieb.
Lange bevor er 1964 stirbt, war Peter Lorre, Schauspieler, schon tot.”
Brigitte Mayr / Michael Omasta